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06.09.2019

Das Gallus feiert sich: Nachbarschaft, Stadt, Zusammenhalt

(Stadt Frankfurt am Main) Dieser Stadtteil muss Frankfurts urbanstes Dorf sein. Zentral gelegen, direkt in Bahnhofsnähe, industriell geprägt, Gründerzeithäuser, dazu Wohnungsbau der klassischen Moderne und „Menschen, die begeistert vom Zusammenhalt berichten. Ein Viertel, in dem Leute gern wohnen, hinter dem jedoch nicht immer einfache Zeiten liegen: Das Gallus!“, erläutert Oberbürgermeister Peter Feldmann. Es feiert sich am Stadtteilfest am Wochenende 7. und 8. September. Der Oberbürgermeister ist zugleich Schirmherr und hat sich am Samstag zum Besuch angekündigt.

Hinter dem Quartier liegt eine bewegte Vergangenheit. Entstanden als Arbeiterviertel für die Adlerwerke sowie Telefonbau und Normalzeit, musste es spätestens seit den Achtzigern das Ende seiner industriellen Tradition verkraften. „Etwa 20.000 Jobs fielen weg. Das war der größte Abbau gewerblicher Arbeitsplätze in Frankfurt“, sagt Frank Junker, Geschäftsführer des städtischen Wohnungsunternehmens ABG Frankfurt Holding. Der Konzern ist mit der Geschichte des Quartiers ähnlich eng verwoben wie dessen industrielle Vergangenheit. Er richtet mit den Partnern Vereinsring Gallus, Sportkreis und Quartiersmanagement das Nachbarschaftsfest aus.

Die sozialen Umwälzungen durch den Wegfall der Arbeitsplätze zogen den Ruf des Viertels in Mitleidenschaft. Noch dazu galt es als nicht gerade attraktiv. Doch das war einmal. Denn von 2004 bis 2019 wuchs die Bevölkerung des Stadtteils wieder von 25.000 auf 40.000 – darunter auch viele junge Familien, weiß Maria Schmedt. Sie arbeitet für die Caritas als Quartiersmanagerin im Gallus im Frankfurter Programm Aktive Nachbarschaft. Doch diese Entwicklung in dem Areal zwischen Hauptbahnhof, Griesheim und Rebstockpark musste erst einmal auf den Weg gebracht werden. „Wir haben uns zusammengesetzt, mit den Kirchen, Mandatsträgern und Vereinen und gemeinsam überlegt, was man für das Viertel tun kann“, erinnert sich ABG-Geschäftsführer Junker. „So sind Kooperationsstrukturen entstanden, die bis heute funktionieren und Pate stehen wenn wir in anderen Stadtteilen mit Veränderungen umgehen müssen. So gesehen, ist das Gallus ein Modellstadtteil“, fügt er hinzu.

Das ergab eine vielfältige Mischung einzelner Schritte. Die Wohnungsbaugesellschaft etwa achtet bei der Vergabe von Wohnungen, dass Mieter unterschiedlicher Schichten zum Zuge kommen. Dazu modernisierte sie ihre Bestände und kümmerte sich um ihre Freiflächen. Die Stadt beruhigte die Straßen, gab den Grünanlagen ein freundlicheres Gesicht und sorgte dafür, dass öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität entstanden. Dazu bekam das Quartiersmanagement einen festen Platz in einem Haus der Neuen Hellerhofsiedlung. Das ab 1929 nach Plänen des niederländischen Architekten Mart Stam im Stil der klassischen Moderne errichtete Ensemble gehört der ABG. Gleichzeitig flossen Mittel aus öffentlichen Programmen wie Soziale Stadt in die Infrastruktur.

Schmedt beschreibt das Viertel als „Stadt und Dorf zugleich“, in dem die Leute gerne wohnten. Das Quartiersmanagement bietet mit seinen Partnern aus den umliegenden evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Rat und Tat bei unterschiedlichsten Anliegen an. In dem Projekt sind 15 ehrenamtliche Berater aktiv. Wer etwa Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen benötigt, sich in einer schwierigen Lebenssituation befindet oder neu im Stadtteil ist und Orientierung sucht, ist in dem Stadtteilbüro richtig. Aus den Gesprächen mit ihren Klienten wissen Schmedt und ihre Kollegen sowie die ehrenamtlichen Helfer, wo der Schuh drückt. „Wir hören häufiger, dass Leute Angst vor Mieterhöhungen haben“, berichtet sie. „Ein Problem, dass vor allem Leute in Privatwohnungen betrifft“, fügt ihr Kollege Rudolf Fleckenstein hinzu. Gemeint sind Mieter, die nicht bei dem kommunalen Wohnungsunternehmen untergekommen sind. Denn: „Wir haben die ABG verpflichtet, die Mieten in fünf Jahren lediglich um maximal ein Prozent pro Jahr zu erhöhen. Ab diesem Jahr wird das auf zehn Jahre ausgeweitet“, erläutert der Oberbürgermeister.

Ein Problem, von dem auch andere berichten. Nulf Schade-James, Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Friede und Versöhnung, hat davon gehört, dass „Firmen Wohnungen und Häuser von Erbengemeinschaften kaufen, um dann zu sanieren und rauszuholen, was geht.“ Helga Roos, vom Gallusprojektbüro des Sportkreises, spricht von „Unternehmen, denen es nur darum geht, ihren Schnitt zu machen.“ Das führe nicht nur zu kaum noch bezahlbaren Mieten, sondern zu einem auf die Immobilie als isoliertes Wirtschaftsobjekt verengten Tunnelblick. „Es braucht Stimmen, dass Investoren verpflichtet werden, Grünflächen zu schaffen“, fordert sie. Oberbürgermeister Feldmann kennt die Probleme aus seinen Besuchen in dem Stadtteil. „Wir brauchen dringend Möglichkeiten, Mieten zu deckeln und wirksamere Instrumente im Planungsrecht. Denn Eigentum muss dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Hier sind Landes- und Bundesgesetzgeber zum Handeln aufgerufen“, sagt das Stadtoberhaupt.

Das Projektbüro des Sportkreises im Gallus - auch eine Institution, die typisch für das Viertel ist. Man schrieb 2006 und ganz Deutschland war im Fußballfieber. Das Team organisierte im Kiez den kleinen Ableger zum großen Fußballevent, die „Kids-WM der 32 Gallusphantasieländer“ und gewann damit den Integrationspreis der Stadt und des DFB 2007. „Wir fanden, unsere Jugendliche haben alle etwas drauf. Doch sie bekamen keine Stellen“, erinnert sich Roos. Das war der Startschuss für „Gallus – 1:1 für Ausbildung“. Die Mitarbeiter des Büros helfen Jugendlichen bei Bewerbungen und vermitteln in Praktika, aus denen Lehrstellen werden. Sport als Brücke, ein Motto, da die Einrichtung auch auf anderen Feldern praktiziert. So gibt es etwa die Frankfurter Bolzplatzliga. Denn nicht jeder, der Spaß am Fußball hat, findet den Weg in einen Verein. Mit den Ligaspielen kommt man in der Stadt rum, lernt andere Plätze, Probleme, Ideen und Gleichaltrige kennen. Wenn es untereinander mal nicht so läuft, finden die Jugendlichen im Ligarat gemeinsam mit professioneller Hilfe Lösungen. Das stärkt die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Kinder und Jugendlichen und versetzt sie in die Lage, Verantwortung im direkten Umfeld zu übernehmen. Dafür bekam das Projekt in diesem Jahr den Fair-Play-Preis des Hessischen Fußball-Verbandes verliehen. „Projekte wie diese zeigen, dass die Stadt nur mit dem Zusammenhalt aller wachsen kann. Sie müssen sich daher auf unserer Unterstützung verlassen können“, sagt Oberbürgermeister Feldmann.

Der Weg dahin forderte allerdings Einsatz, wie sich Ahmet Söylemez vom Sportkreis erinnert: „Wir hatten null Spiel- und Bewegungsplätze.“ Die Einsicht, „Beton macht kriminell“ setzte sich durch. Doch dank der Kooperationsstrukturen im Gallus und zusammen mit der Stadt klappte es, mit Hilfe des Bund-Länder-Programmes „Soziale Stadt“ im Galluspark zwei Bolzplätze zu schaffen und Raum. Das Beispiel zeigt zweierlei: „Die Gemeinschaft als Rückgrat des Viertels funktioniert“, wie Roos sagt. Die inneren Strukturen funktionieren. Allerdings benötigt das Quartier Infrastruktur, um das Wachstum zu bewältigen. Roos fordert mehr Grün- und Bewegungsflächen für Kinder und Jugendliche. Nach längerem Anlauf entsteht aktuell die Verlängerung der U-Bahnlinie 5. Vorgesehen ist der Bildungscampus Gallus. Nach erfolgreich verlaufener Bürgerbeteiligung hofft man im Bildungsdezernat, mit dem Haushalt 2020-2021 in die Planungen einsteigen zu können. Das Projekt soll verschiedene Angebote unter einem Dach vereinigen, welche der wachsende Stadtteil benötigt.

Vor dem „Talbub“ an der Ecke Kriegkstraße/Frankenallee sitzen die Menschen in der Spätsommersonne beim Mittagessen und reden angeregt miteinander. Die Sprachfetzen lassen vermuten, dass sie aus der kulturell vielfältigen Nachbarschaft und den umliegenden Redaktionen der Frankfurter Tageszeitungen kommen. Das Interieur: helle Wände an der Seite, ansonsten die Farben türkis und grau, blauer Tresen, Holfzußboden, unprätentiös moderne Bestuhlung. Inhaber Thomas Bublat wohnt seit acht Jahren im Gallus und hat sich 2016 mit der Gaststätte selbstständig gemacht. An dem Stadtteil schätzt er, dass dieser „schön gemischt ist, Kiez halt.“ Für dieses Publikum da zu sein, beschreibt er seinen gastronomischen Anspruch. Bisher laufe der Betrieb „sehr gut“. Das offene Konzept scheint sich zu bewähren.

Schade-James, Roos und Schmedt berichten, dass die unprätentiöse Kneipenszene ihren Beitrag zu der inneren Offenheit des Viertels leiste. Die Bewohner hätten so Räume, sich untereinander auszutauschen. Doch noch wichtiger sei die Toleranz, die gelebt werde. Auch wenn das manchmal ein Stück Arbeit sein kann. „Als 2001 die Flugzeuge in die Wolkenkratzer flogen, haben wir gesagt, wir müssen reden“, erinnert sich Pfarrer Schade-James. Der interreligiöse Arbeitskreis unterschiedlicher islamischer und christlicher Konfessionen entstand. „Wir wollten erst einmal wissen, wie läuft das bei Euch. Und die auch“, berichtet Schade-James von den ersten Begegnungen mit muslimischen Gemeinden. Heute funktioniert der Arbeitskreis als dauerhaftes Gremium, das seinen Horizont auch durch Reisen in stark konfessionell geprägte Länder wie Bosnien-Herzegowina erweitert. Irgendwie ein Beispiel, das typisch für die Menschen im Gallus wirkt: Aus dem Problem eine Lösung gemacht.

Das Gallus hat einen Weg hinter sich, den auch Oberbürgermeister Feldmann beeindruckt. „Die Entwicklung dieses Viertels zeigt, wie wichtig es ist, die Menschen einzubeziehen und alle Akteure an einen Tisch zu bekommen.“ Das Gallus zeige, dass es möglich sei, Stadtteile so zu gestalten, dass sich alle Menschen in ihnen wohl fühlten. „Allerdings muss die Politik hierfür den Mut aufbringen, nötigenfalls in die Verwertungslogik des Immobilienmarktes einzugreifen“, unterstreicht das Stadtoberhaupt. Zusätzlich merkt er an: „Das Gallus braucht weiterhin unsere Unterstützung, um mit Wachstum der Stadt mithalten zu können. Hier sind alle Verantwortlichen gefordert, möglichst die Weichen zu stellen.“

Text: Ulf Baier

Hazim Tit, Simon Treuherz, Denis Bambusek und Helga Roos vom Gallusbüro des Sportkreises. Fotos: Maik Reuss

Ahmet Soeylemez, Mitarbeiter des Sportkreis-Gallusbüros und Leiter des Projekts Galluspark Bolzplatz.

Rudolf Fleckenstein und Maria Schmedt, Quartiersmanager im Gallus.

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